Im Café

1890

Im Café

Gläser klirren,
Plaudereien schwirren,
Über’s Billard saust der glatte Ball;
Cigaretten glimmen,
Blaue Wölkchen schwimmen,
Flinke Kellnerschöße überall.
Ist ein Summen und Zeitungsrauschen,
Kugelstoßen und Debattiren –
In der Ecke bequem zu lauschen,
Mag ein Weilchen mich amüsiren.
Aus dem Geschlacker zum Heil meiner Seele
Lockte der gütige Gott in’s Café,
Wärmender Mokka rinnt in die Kehle,
An den Scheiben verthränt der Schnee.
Jener Spieler, der elegante,
Weit vorbeugt er die schlanke Gestalt
Ueber des grünen Tuches Kante –
Lächelnd richtet sich auf der Gewandte,
Glücklich Kugel auf Kugel prallt,
Und ein lohnendes Bravo schallt.
Mir zur Seite die beiden alten
Herren legen die Stirn in Falten,
Schwierig scheint die Situation:
Mit dem nächsten kühnen Zuge
Naht die Entscheidung, naht im Fluge,
Wird trotz seinen Trabanten jetzt
Majestät schachmatt gesetzt
Und kein Thurm, kein Bismarck naht…
Drei Studenten – versteht sich – Skat.
„Stramm gewimmelt! Nicht mal Schneider
Darf er werden.“ – „Leider, leider,
Die verfluchte Zehne blank,
Kinder, mein Portemonnä ist krank.
Stempel, wir sind übrigens quitt…
Kellner!“ „Sie wünschen?“ – „Noch einen Schnitt“…
„Jesses, solches Blech zu schmieren!
Reimereien zum Krepiren,“
Seufzt mein Nachbar — „nein, wie blau!
Und für den schwärmt meine Frau — !
Heutzutage ein Geschmack:
Buschklepperei nnd Stromerpack
Im modernen Gesellschaftsfrack“…
„Machen wir noch ein bischen Tric-trac?“
Und indessen mein Tischgenoß
Aergerlich feinen Elzevir schloß,
Meine beiden Alten selbander
Schlagen ihr Schachbrett auseinander.
„Doktor, wie kommen Sie mir vor?“
Spöttisches Lachen trifft mein Ohr —
„Diefen heuchlerischen, meineidigen,
Grinsenden Pfaffen zu vertheidigen!
Wär‘ es nicht Spiegelfechterei,
Könnt‘ es anständige Leute beleidigen.“
„Bitte, bedenken Sie nur dies:
Nil nisi bene de mortuis!
Ist sein Kadaver auch noch nicht begraben,
Sein Renommee verzehren die Raben“…
Zwischen der Gäste gleichgültigen Reih’n
Drückt sich frostzitternd von Tisch zu Tisch
Lilienbläßlich ein Mägdelein,
Rosen im Korbe junifrisch.
Von dem Rothblond wirrer Locken
Niederschmelzen die nassen Flocken,
Daß das Wasser dem armen Kind
In den offenen Nacken rinnt.
„Rosen, Rosen!“
Freudelosen
Schrittes schleicht’s hinaus in die finstre Nacht.
Wirbelnder Schneesturm braust.
Gläser klirren,
Plaudereien schwirren,
Eine Kugel über die Barrière saust…

1921

Im Café

Gläser klirren,
Plaudereien schwirren,
Übers Billard saust der glatte Ball;
Zigaretten glimmen,
Blaue Wölkchen schwimmen,
Flinke Kellnerschöße überall.
Ist ein Summen und Zeitungsrauschen,
Kugelstoßen und Debattieren
In der Ecke bequem zu lauschen,
Mag ein Weilchen mich amüsieren.
Aus dem Geschlacker zum Heil meiner Seele
Lockte der gütige Gott ins Café,
Wärmender Mokka rinnt in die Kehle,
An den Scheiben vertränt der Schnee.
Jener Spieler, der elegante,
Weit vorbeugt er die schlanke Gestalt
Über des grünen Tuches Kante –
Lächelnd richtet sich auf der Gewandte,
Glücklich Kugel auf Kugel prallt,
Und ein lohnendes Bravo schallt.
Mir zur Seite die beiden alten
Herren legen die Stirn in Falten,
Schwierig scheint die Situation:
Mit dem nächsten kühnen Zuge
Naht die Entscheidung, naht im Fluge,
Wird trotz seinen Trabanten jetzt
Majestät schachmatt gesetzt,
Und kein Turm, kein Bismarck naht…
Drei Studenten – versteht sich – Skat…
Zwischen der Gäste gleichgültigen Reihn
Drückt sich frostzitternd von Tisch zu Tisch
Lilienbläßlich ein Mägdelein,
Rosen im Korbe, junifrisch.
Von dem Rotblond wirrer Locken
Niederschmelzen die nassen Flocken,
Daß das Wasser dem armen Kind
In den offenen Nacken rinnt.
„Rosen, Rosen!“
Freudelosen
Schrittes schleicht’s hinaus in die finstre Nacht.
Wirbelnder Schneesturm braust.
Gläser klirren,
Plaudereien schwirren,
Eine Kugel über die Barrière saust…

[[Amselrufe]], Zürich 1890, S. 134-136. Online
[[Gesammelte Werke. Zweiter Band: Buch des Kampfes]], München 1921, S. 49-50.